zum Glossar über:
Entorrhizomycota, Wurzelgallner
1 Tief versteckt und doch entdeckt( AP)
.
Wer löst den Zwist, den ihre Merkmale hegen?
Nicht sie selbst streiten um Vormacht der Aussagekraft.
Einige Forscher glauben, hochkonservierte Gene würden entscheiden,
Aber Feinstrukturen sprechen dagegen, meinen die andern.
Einer kleineren Gruppe kämpfen zwei Herzen ach in der Brust:
Was davon sollen wir wählen, zu begründen einen Verwandtschaftsschluss? –
.
Eine runde, dickwandige, bräunliche Zelle,
Zum Überdauern, als der Propagule[1] einziges Ziel,
Von den Entdeckern geseh’n,
– Griechisch, dem Zweck entsprechend, Teliospore[2] genannt –
Formte in sich nach Teilung vier eigenständige Zellen
Und ruht, mit vielen zu Ballen versammelt,
.
Der Zufall wollte es – wie so oft, werden Arten, neue Sippen entdeckt –
Dass jemand, wollte er Binsen[6] aus nassem Acker entfernen,
Vielleicht auch nur Pflanzen zum Herbarisieren[7] sich sammeln,
Aus dem Boden die Pflanze mitsamt dem Wurzelstock riss
– Gerade bei Binsen ist dies leicht möglich,
Wachsen doch gerne sie oftmals im Horst[8]–
Die Knöllchen entdeckte, sie nicht einfach verwarf,
Einem Botaniker zeigte, der zu mikroskopieren begann.
.
Später, um der Spore Schicksal zu klären
– Als ob es ein letztes auf Erden überhaupt gäbe –
Erhielten die Sporen Feuchte, auch etwas Wärme und der Wissbegierige staunte:
Aus jeder Zelle trieb sich ein Schlauch,
Bis unter glücklichen Umständen dann,
Jeder an der Spitze zu sporulieren[9] begann!
Dies aber mehrfach, nicht einmal nur tat,
Als Hinweis auf einer Basidie[10] Funktion.
.
Dies weckte Neugierde dann in modernerer Zeit!
Studierte, weil interne Strukturen schon manches enträtselt,
Hyphenwände, Poren der Septen [11]
Und, was mit den Kernen[12] im Innern geschieht.
.
Als Meiosporangium[13] gilt seither diese Teleospore,
Obwohl man Chromosomen nicht sah.
Doch zwei Kerne wurden zu einem, doppelter Größe sogar,
Zwei kleinere entstanden später, nach einiger Zeit waren es vier.
.
Ein fassförmiger Ring begleitet beidseits den Porus[14],
Mittig im Septum[15] der Hyphe gelegen.
Dolus, das Fass, stand für den Terminus Pate,
Doliporus[16] deswegen benannt.
Ein- und Übertritt in benachbarte Zellen
Scheint er, so die Erklärung, zu steuern und prüfen;
Ein Merkmal, vielen Ständerpilzen[17] wahrlich nicht fremd,
Liefert damit einen weiteren Hinweis, ein Basidiomycot[18] läge hier vor.
.
Hätte es eines dritten Beweises bedurft,
Stünde die Zellwand der Hyphe parat:
Ihre mehrfache Schichtung[19], der Dritte im Bund,
Lässt keinerlei Zweifel an des Pilzes Verwandtschaft mehr zu.
.
Noch eines bringt die Ultrastruktur[20] als Pfund auf die Waage:
Der Spindelpolkörper[21], teilt und erneuert sich in Ständerpilzweise,
In Bau und Form kommt er jenen der Agaricomycotina recht nah,
Der Ständerpilze weitest entwickeltem Unterabteil[22].
.
Wohin nun mit diesen Wurzelgallwesen
In der riesigen Ständerpilzschar?
Mit Teleosporen leben zwar viele,
Doch nichts, was Entorrhizas[23] Keimung kommt nah!
.
Fußnoten
[1] Propagulen: Allgemeine Bezeichnung für Verbreitungseinheiten
[2] Teliospore: Eine dickwandige Dauerspore als Verbreitungseinheit, die zumindest anfangs ein Dikaryon enthält
[3] Galle: Vergrößerung des Wirtsgewebes veranlasst von Parasiten oder Symbionten
[4] Binsen: Juncaceae (Juncineae – Poales – Commelinanae – Liliidae – Dicotyle s.l. –…)
[5] Sauergräser: Cyperaceae (Juncineae – Poales – Commelinanae – Liliidae – Dicotyle s.l. –…)
[6]J uncus bufonius: Kröten-Binse (Juncaceae – Juncineae – Poales – Commelinanae – Liliidae –…)
[7] Herbarisieren: Pflanzen zum Trocknen zwischen Papier pressen, um sie später mit feinen Klebstreifen auf steifem Papier zu befestigen
[8] Horst: Kompakte, eng begrenzte Ansammlung grasartiger Pflanzen
[9] Sporulieren: Sporen bilden
[10] Basidien: Ständer, auf denen sexuell gebildete Sporen entstehen
[11] Querwandporen, Septenporen: Septen, Querwände, von Hyphen (auch Trichome von Rotalgen) sind meist mit einem Porus versehen, der benachbarte Zellen miteinander verbindet. Meist aber sind diese Öffnungen sekundär wieder verschlossen. Diese Verschlüsse sind geeignet, Verwandtschaften zu erkennen.
[12] Zellkern: Chromosomen einschließendes, cisternenumgebenes Organell der Eukarya, in dem u. a. im Zuge der Mitose, auch der Meiose, die Verdopplung der Chromosomen stattfindet
[13] Meiosporangium: Eine sporenbildende Zelle, in der Karyogamie (K!) und Meiose (R!), also Verschmelzung haploider Kerne und anschließend den doppelten Chromosomensatz reduzierende Kernteilungen,erfolgen und danach Meiosporen entstehen
[14] Porus, Pore: Zentrale Verbindungsöffnung zwischen zwei Zellen
[15] Septum (Algen, Pilze): Querwand eines einzellreihigen Fadens, eines Trichoms, eines Zellausläufers, einer Hyphe
[16] Doliporus: Ein Querwandporus, der auf beiden Seiten mit einem Ringwall umgeben ist und damit fassförmig (dolum, lat.) aussieht; er ist meist noch von unterschiedlich gestalteten Abkömmlingen des Endoplasmatischen Retikulums begleitet
[17] Ständerpilze, Basidiomycota: Pilze, deren Sporen auf speziell gestalten Zellen („Ständern“, Basidien) gebildet werden
[18] Basidiomycota: Ständerpilze (Dikarya – Unbegeißelte Chitinpilze – Fungi – Opisthokonta – Eukarya)
[19]Z ellwand (Basidiomycota, speziell der Hefen): Erscheint im Elektronenmikroskop mehrfach lamelliert aus dunkleren und helleren Schichten
[20] Ultrastruktur: Merkmale, die nur mit Elektronenmikroskopen [Durchlicht- oder Auflichtelektronenmikroskop (Transmissionselektronenmikroskop oder Rasterelektronenmikroskop, TEM oder REM)] erkannt werden können
[21] Spindelpolkörper als Mikrotubuliorganisationszentrum: Elektronendichte Körper besonderen Baus, dienen bei Rhodophyta und Unbegeißelten Chitinpilzen der Kernteilung; an ihnen setzt die Kernteilungsspindel an, um Chromosomen in die Tochterkerne zu ziehen
[22] Unterabteilung
[23] Entorrhiza: Wurzelgallner (Entorrhizomycota – Dikarya – Unbegeißelte Chitinpilze – Fungi – Opisthokonta -…)
Eingestellt am 15. März 2025
.
Entorrhiza casparyana an Juncus articulatus
a-g: Intrazelluläre mehr oder weniger aufgerollte Hyphen und Teliosporen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien (Wirtszellen nicht gezeichnet). – h-k: Keimende Teliosporen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Zu beachten: sigmoide Gestalt der Propagulen in i, j und k. Messstrich: 20 μm in (a-g, j-k) und 10 μm in (h).
https://www.researchgate.net/publication/281820604_Entorrhizomycota_A_New_Fungal_Phylum_Reveals_New_Perspectives_on_the_Evolution_of_Fungi
Autoren: Bauer R, Garnica S, Oberwinkler F, Riess K, weiß M, Begerow D (2015)
Lizenz:Creative Commons Attribution 4.0 International; unverändert
Eingestellt am 15. März 2025
.
Entorrhizomycota, Wurzelgallner
2 Von wegen Lösung des Rätsels
.
Wer Zweifel hegt, dass ein Morphologie-Anatomie-Konzept ebenfalls trägt,
Wird heute, falls er ohnehin nur Gene befragt,
Zu Sequenzen hochkonservierter DNA bereitwillig greifen,
Wählen, was dem Organismus nur ein geringstes Ändern erlaubt,
Um sich das Leben nicht selbst zu gefährden:
Der blickt aufs Herzstück, dorthin, wo alles beginnt.
.
Drei Untereinheiten der rDNA[6] des Zellkerns,
Geordnet, wie im Gen sie sich reihen:
– Für ihr Gewicht stehen die Zahlen,
Als Eukaryonten zeigt sich das letzte rDNA-Stück 28, nicht 26 Svedberg[11],[12] groß –
Werden bei Fungi vordringlich analysiert;
ITS-Sequenzen werden zwar transkribiert,
Aber herausgeschnitten[13], wegen leerer Information, die Gene nur trennt.
.
Reichen daraus kalkulierte Informationen immer noch nicht,
Werden zweierlei Typen
– Wie für Entorrhiza-Arten verwendet –
RNA-Binde-Proteine[14], RPBs, studiert.
.
Nicht dass Sequenzen an sich Substanzielles schon zeigten,
Verrechnet, verglichen, müssen sie sein,
Mit verschied’nen Programmen Wahrscheinlichkeiten berechnet:
Abschnitte einzeln, in verschiedener Kombination, oder alle vereint. –
.
Drei Szenarien offerierten Computer annehmbar glaubwürdig:
– Drei Arten von derzeit vierzehn bekannten gaben DNA dafür –
Entorrhizen stehen ehern als eigne enge Verwandtschaft.
Sie selbst sollen Schwestern aller Dikarya[15] sein,
Oder aller Basidiomycota näh‘ste Verwandte.
Doch was heißt dies im Lichte der Evolution?
.
Zwei hochkonservierte Strukturen,
Als Verwandtschaftsbegründung allgemein akzeptiert,
Wären dann aber zweimal in vollkommen gleicher Weise entstanden:
Der biglobuläre Spindelpolkörper[16] mit spezieller Ontogenie,
– Sonst nur Basidiomycota, außer Pucciniomycotina, durchgängig gegeben –
Und der Doliporus[17], der ausschließlich für der Basidiomycota Agaricomycotina bekannt;
Der Zellwand Schichtung noch gar nicht berücksichtigt.
Der Basidiomycota Meiosporangientypen erweisen sich sehr variabel ohnehin.
.
Nun existiert als Entorhizomycota seit kurzem diese Abteilung[18],
Letztendlich nur auf DNA-Sequenzen basiert!
Doch, was wird die Zukunft ergeben, wenn immer mehr Arten,
Wenn mehr Sequenzen auch von andern Computerprogrammen sind analysiert?
.
Sind nicht auch Gene der Ultrastruktur hochkonserviert?
Merkmale, die sie begründen, mit großem Erfolg die Zeit überdauern,
Durch Einfluss vieler Gene erbaut, konstruiert?
Wem gebührt nun das letzte Wort, diese Pilze in einen Stammbaum zu fügen? –
.
Ein Eindruck sollte hier vermittelt nur werden, wie schwierig oft der Systematiker Lage,
Müssen Merkmale gewichtet, gebündelt werden, gegeneinander ihr Wert geschätzt,
Vorrang und Nachrang der Merkmale einzeln gewichtet, verglichen,
Um zu erspüren verborgene, oft verschlungene Wege der Evolution.SL
.
Fußnoten
[1] Transkription: Umschreiben von DNA (oder RNA) in RNA, oder von RNA in DNA (bei Viren)
[2] mRNA, messenger RNA, Boten RNA: Der DNA übersetzter genetischer Code in für tRNAs ablesbare Matrizen
[3] Ribosomale RNA (rRNA): Verknäuelt sich unter Beteiligung von Proteinen zum Ablesegerät (Ribosom) der tRNAs, um Aminosäuren zu Proteinen zu verknüpfen
[4] Faltproteine, Chaperone: Proteine, die neusynthetisierte Proteine bei ihrer Faltung unterstützen
[5] Spliceprotein: Protein des RNA-Protein-Komplexes, der bei der Entfernung von Introns aus der transkribierten rRNA beteiligt ist.
[6] rDNA, ribosomale DNA: Gene, die für die RNA der Ribosomen codieren
[7] 18S rDNA: Diese rDNA, bildet nach Transkription als 18S rRNA zusammen mit Proteinen die kleine Untereinheit der eukaryotischen Ribosomen; das betreffende Gen des Chromosoms wird nach seinen Basenfolgen für Verwandtschaftsvergleiche analysiert
[8] 5,8S rDNA: Diese rDNA, bildet nach Transkription als 5,8S rRNA einen Teil der eukaryotischen ribosomalen 60S-Untereinheit; das betreffende Gen des Chromosoms wird nach seinen Basenfolgen für Verwandtschaftsvergleiche analysiert
[9] 28S rDNA: Diese rDNA, bildet nach Transkription als 28S rRNA einen Teil der eukaryotischen ribosomalen 60S-Untereinheit; das betreffende Gen des Chromosoms wird nach seinen Basenfolgen für Verwandtschaftsvergleiche analysiert
[10] ITS,InternalTranscribedSpacer: Gene sind oft durch sog. nichtcodierende DNA-Abschnitte (Introns) getrennt, die erst nach dem Ablesen durch Spleißosomen entfernt werden; die betreffenden Gene des Chromosoms werden nach seinen Basenfolgen für Verwandtschaftsvergleiche analysiert
[11] S, Svedberg-Kontante: Ist die Einheit der Sedimentationskonstante und dient der Angabe des Molekulargewichts von hochmolekularen Substanzen
[12] Wie bei Bacteria
[13] Werden in der Zelle von Spliceproteinen entfernt
[14] RNA-Binde-Proteine, RPBs: Besitzen wichtige Funktionen bei der Regulierung der Genexpression. RBPs spielen eine Schlüsselrolle in allen Eukaryoten bei Prozessen nach der Transkription, wie etwa bei der Regulierung des Spleißvorgangs, dem mRNA-Transport und der Modulation der mRNA-Translation und des mRNA-Abbaus.
[15] Dikarya, Zweikernpilze (Unbegeißelte Chitinpilze – Fungi – Opisthokonta – Eukarya)
[16]B iglobulärer Spindelpolkörper: Spindelpolkörper (SPB) können je nach Verwandtschaft unterschiedliche Formen aufweisen: ein biglobulärer SPB zeigt sich während der Interphase des Kerns als hantelförmige Gestalt, aufgebaut aus zwei kugelförmigen, mit einem Band verbundenen Strukturen
[17] Doliporus: Ein Querwandporus, der auf beiden Seiten mit einem Ringwall umgeben ist und damit fassförmig (dolum, lat.) aussieht; er ist meist noch von unterschiedlich gestalteten Abkömmlingen des Endoplasmatischen Retikulums begleitet
[18] Abteilung, Phylum (der Organismen): Hierarchische Ebene zwischen Unterabteilung und Reich
SL Bauer R, Garnica S, Oberwinkler F, Riess K, Weiß M, Begerow D (2015) Entorrhizomycota: a new fungal phylum reveals new perspectives on the evolution of fungi. PLoSOne 10: e0128183. - Begerow D, McTaggart AR (2018) Entorrhizomycota. In Frey W (ed) Syllabus of Plant Families. A. Engler’s Syllabus der Pflanzenfamilien, 13thed. Volume 1/3 Basidiomycota and Entorrhizomycota, Bornträger, S. 445-446.
Eingestellt am 15. März 2025
.
Entorhiza casparyana an Juncus articulatus
Teil eines Horsts von Juncus articulates mit Wurzelgallen, verursacht von Entorrhiza casparyana (Pfeile). Die älteren Abschnitte der Gallen sind braun, jüngere weißlich.
Autoren: Bauer R, Garnica S, Oberwinkler F, Riess K, Weiß M, Begerow D (2015)
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license; unverändert
Eingestellt am 15. März 2025
.