zum Glossar über:
Clostridia, Clostridien
1 Falten
.
Missmutig schaut Frau Sauertopf in ihren Spiegel. –
Betrachtet nur kurz das Gesicht,
Wendet sofort wieder ab den traurigen Blick. –
„Wo blieb das Lächeln, das mir vor Jahren doch so gut stand?“
.
„Zwei Falten graben sich, die Nase verlängernd,
Quer durch die Stirn
Und drücken die Brauen herab.
Meine Augenlider schieben sie mit.“
.
„Doch meine Freundin, wie schafft sie es bloß,
Bezaubert noch heute Gesellschaft und Mann.
Glatt wie ein Kinderpopo ist ihre Visage[1].
Ich kann sie schon fast nicht mehr seh‘n!“
.
Sie klagt dem Arzt ihr besonderes Leid.
Er, nicht verlegen, wittert sofort ein Geschäft.
“Ein paar Spritzen“, meint er, „und bald werden sie seh‘n,
All ihre Falten werden vergeh‘n.“
.
Wie ein Zauberwort klingt Botox[2] in ihrem Ohr!
– „Stimmt, davon hab‘ ich bereits gehört!“ –
„Vielleicht hat die Freundin,
Dies auch schon probiert? –
.
Fußnoten
[1] Visage: Gesicht
[2] Botox,Botulinumtoxin: Ein Neurotoxin, wird von verschiedenen Stämmen von Clostridium botulinum, C. butyricum, Clostridum baratii, sowie C. argentinense gebildet und ausgeschieden. Botulinumtoxin ist für Lebewesen, wie auch für Menschen, ein tödliches Gift. Die Verwendung in der kosmetischen Medizin zur vorübergehenden Abschwächung von Falten (Wirkungsdauer 3–6 Monate) ist in Deutschland seit 1993 zugelassen. Es besteht aber das Risiko gravierender Nervenschäden ohne medizinische Notwendigkeit für einen solchen Eingriff.
Eingestellt am 6.April 2024
.
Clostridia, Clostridien
2 Herkunft ( AP)
.
Ein Bakterium produziert das faltenglättende Medikament,
Exudiert es, zwei Proteine zur Einheit gekoppelt,
In das Medium seiner Kultur.
Gereinigt, in Lösung genommen, erheblich verdünnt,
Sterilisiert, verpackt und verschickt,
Gelangt es in eine Spritze und – in die Stirn.
.
Doch Clostridium botulinum[1] hatte
Etwas anderes vor damit.
Gelänge es selbst in den Körper der Frau
Oder schickte es mit der Nahrung seine Produkte dorthin,
Verschwänden nicht nur die lästigen Falten!
Ein Blick in sein körperbezogenes Leben genügt – und erklärt:
.
In Nahrungsmitteln, ungenügend sterilisiert,
Überleben, weil hitzestabil, Botulinum-Sporen[2],
Keimen, wachsen, aufbereitete Nahrung ungestört lösend,
Tausendzellig heran;
Bringen Verdauungsenzyme nach außen,
.
Die Mahlzeit, unzureichend gekocht,
Enthält dann Botulinum-Bakterien und intaktes Nephrotoxin[5].
Clostridium produziert es ungeniert
Im anaeroben[6] Darminhalt weiter,
Während das Botulinum-Produkt
Unbehindert die Darmwand passiert.
.
Langsam treibt suchend das Gift so dahin,
Trudelnd dreht sich das ungleiche Paar,
Hängt kurz einmal fest, reißt dann wieder sich los,
Bis sein dickeres Ende am richtigen Ankerplatz sitzt.
.
Am Axon[7] der Nerven kommt es zu liegen.
Schon wird es umhüllt auf seinen Befehl
Und wandert, plasmalemmaumhüllt[8],
.
Längst schon zerfiel,
Das saure Milieu im Endosom nutzend,
Das Dipeptid[11] in seine ungleichen Teile.
Kanalförmig bohrt sich das größere Stück,
Dem kleinen den Weg nach außen bereitend,
Durch des Vesikels Membran.
.
Katalytisch[12] Transportproteine zerstörend,
Hindert es Neurotransmittervesikel[13],[14] an der Bewegung.
Vergeblich warten nun Muskelfasern auf Acetylcholin[15]
Und bleiben erschlafft.
.
Fußnoten
[1] Clostridium botulinum: Butter-Clostridie
[2] Sporen (Bakterien): Dauerformen, die Bakterien ermöglichen, auch unter ungünstigen Bedingungen (Hitze, Kälte, Austrocknung, Hungerzustand) zu überleben
[3] Nephrophil: nervenfreundlich, an Nerven sich lagernd
[4] Peptide: Kurze Ketten aus (verschiedenen) Aminosäuren.
[5 ]Nephrotoxin: Nervengift
[6] Anaerob: sauerstofffrei; Anaerobier leben nur unter sauerstofffreien Bedingungen
[7] Axon: Langgezogener, ungegliederter, schlauchartiger, gelegentlich seitlich verzweigter Fortsatz einer Nervenzelle, der elektrische Impulse vom Zellkörper (z. B. Dendrit) wegleitet; auch gegen Ende kann das Axon verzweigt sein. Das Axon, gegebenenfalls seine Seitenzweige, blähen sich am Ende zum präsynaptischen Teil auf, der im anschließenden Axon ein becherförmiges postsynaptisches Gegenstück findet; beide zusammen gelten als Synapse. Axone erreichen Längen von wenigen Millimetern bis zu Metern.
[8] Plasmalemma: Zellmembran (Lipiddoppelmembran) von Organismen mit starrer Zellwand; wird oft als Gegenstück zum Tonoplasten betrachtet, der im Zellinneren eine größere Saftvakuole umgibt; für Bakterien kein gebräuchlicher Begriff.
[9] Endosom: Mikrobenumschließendes Vesikel entstanden aus einer Zellmembraneinstülpung
[10] Synapsen: Verbindungen zwischen Nervenzellen, bzw. von Axon zu Axon. Dort enden die elektrischen Signale (an der Grenze zwischen prä- und postsynaptischem Teil); die Informationsübertragung erfolgt nun durch Ausschüttung von in Vesikeln gebildeten Neurotransmittern; sie werden vom postsynaptischen Teil aufgenommen, wodurch wieder elektrisches Potential entsteht, das vom Axon rasch weitergeleitet wird.
[11] Dipeptid: Zwei selbständige Peptide sind zu einem Tandem verbunden
[12] Katalyse: Änderung des zeitlichen Ablaufs von chemischen Reaktionen mittels eines Katalysators mit dem Ziel, sie überhaupt in Gang zu bringen oder die Selektivität in eine favorisierte Richtung zu lenken. Der lebenden Zelle dienen Enzyme als Katalysatoren.
[13] Neurotransmitter: Moleküle, die von einer Nervenzelle abgegeben und von einer anderen aufgenommen werden, wodurch Signale im Nervensystem weitergeleitet werden. Als bedeutende Neurotransmitter gelten z. B. Adrenalin, Acetylcholin, Serotonin und Dopamin.
[14] Vesikel (Zellvesikel): Kleine, abgegliederte, rundliche, doppelmembranumhüllte Behälter.
[15] Acetylcholin: kommt im Nervensystem des ganzen Körpers vor und steuert verschiedene Köperfunktionen. Im Gehirn reguliert Acetylcholin überlebenswichtige Funktionen wie Herzschlag und Atmung. Daneben spielt der Botenstoff eine wichtige Rolle für das Lernen und Erinnern.
Eingestellt am 6.April 2024
.
Clostridia, Clostridien
3 Entspannt (AP)
.
An neuromuskuläre Synapsen[1] sich setzend,
Peripher an allen bewussten Bewegungen mit,
Nicht nur an Armen und Beinen, auch beim Atmen – und im Gesicht.
.
Als Hemmer, nicht als Helfer,
Erweist sich das heimtückische Gift:
Der Augen Linsen akkomodieren nicht mehr,
Lider erschlaffen, klappen nicht hoch,
Falten verschwinden,
Doch wen interessiert dies noch?
.
Schwindelgefühl, ein schwankender Gang,
Undeutliches Sprechen, jeder Schluck eine Qual,
Atembeschwerden, Angst vor Ersticken.
Kinder fallen in Lethargie. –
.
Lokal beschränkt appliziert,
Wird Botox so manchen Frauen zum Segen,
Doch unerkannt oral genommen,
Wird es zum Fluch!
.
Fußnoten
[1] Neuromuskuläre Synapsen: An Muskelfasern ansitzende Synapsen
[2] Clostridium botulinum: Wurst-Clostridie
[3] Botox,Botulinumtoxin: Ein Neurotoxin, wird von verschiedenen Stämmen von Clostridium botulinum, C. butyricum, Clostridum baratii, sowie C. argentinense gebildet und ausgeschieden. Botulinumtoxin ist für Lebewesen, wie die Menschen, ein tödliches Gift. Die Verwendung in der kosmetischen Medizin zur vorübergehenden Abschwächung von Falten (Wirkungsdauer 3–6 Monate) ist in Deutschland seit 1993 zugelassen. Es besteht aber das Risiko gravierender Nervenschäden ohne medizinische Notwendigkeit für einen solchen Eingriff.
Eingestellt am 6.April 2024
.
Clostridia, Clostridien
4 Hinterhältig (AP)
.
Botulinums Bruder Tetani[1],
Gleichfalls den Boden der Erde belebend,
Lauert auf Wunden, sucht,
Rasch sich in offenen Pforten vermehrend,
Frei liegende Nerven
Als Angriffsort für verheerendes Tun.
.
Mit der Peripherie begnügt er sich nicht,
Im Zentrum will er zu Felde zieh’n!
Vermehrt sich anaerob[2]
In Wunden, von Leucocyten[3] verschlossen,
Schickt sein durchtrieb‘nes Toxin[4] als Boten vor sich her,
Erwartet geduldig, was bald schon geschieht.
.
Auch dieses Doppelpeptid[5]
Aus ungleichen Teilen
Nutzt schamlos der Nerven Endocytosesystem[6],
Wandert, ungespalten, vesikelumhüllt,
Gegen den Strom dem Axon[7] entlang,
In der Zelle befehlendes Zentrum[8].
Lässt es, ohne zu zögern, ungeniert liegen,
Mogelt frech sich vorbei,
Sucht sich ein neues Axon,
Setzt, wiederholt Nervenzellen passierend,
Den Weg bis zum Rückenmark ohne Zwischenfall fort,
Bindet final ans Motorneuron.
.
Dem Vesikel durch einen gebohrten Kanal schnell entschlüpft,
Torpediert der proteolytische[9] Teil des Toxins
Der Vesikel Exocytose[10],
Neurotransmitter bleiben zurück;
Lässt Muskeln auf Höchststufe schuften, ganz ohne Halt.
Niemand löst die gewaltige Kraft:
.
Fußnoten
[1] Clostridium tetani: Erreger von Tetanus
[2] Anaerob: sauerstofffrei; Anaerobier leben nur unter sauerstofffreien Bedingungen
[3] Leucocyten: Weiße Blutkörperchen
[4] Tetanospasmin oder einfach Tetanustoxin: Das wichtigste der von Clostridien ausgeschiedenen Toxine. Es hemmt die inhibitorischen Synapsen an den spinalen Motoneuronen sowie die Freisetzung der Neurotransmitter Glycin und GABA. Klinisch zeigt sich dies in einer spastischen Paralyse. (Wikipedia)
[5] Dipeptid: Zwei selbständige Peptide sind zu einem Tandem verbunden
[6] Endocytose: Aufnahme eines Partikels aus der Zellumgebung mit Hilfe eines aus der Zellmembran durch Einstülpung entstandenen Vesikels
[7] Axon: Langgezogener, ungegliederter, schlauchartiger, gelegentlich seitlich verzweigter Fortsatz einer Nervenzelle, der elektrische Impulse vom Zellkörper (z. B. Dendrit) wegleitet; auch gegen Ende kann das Axon verzweigt sein. Das Axon, gegebenenfalls seine Seitenzweige, blähen sich am Ende zum präsynaptischen Teil auf, der im anschließenden Axon ein becherförmiges postsynaptisches Gegenstück findet; beide zusammen gelten als Synapse. Axone erreichen Längen von wenigen Millimetern bis zu Metern.
[8] Dendriten, dendritische Zellen: Zellen mit astartigen Cytoplasmafortsätzen; bei Nervenzellen dienen sie der Aufnahme elektrischer Reize und ihrer Weiterleitung ins Innere der Zelle.
[9] Proteolytisch: Proteine zerlegend
[10] Exocytose: Ausscheiden eines Partikels aus der Zelle mit Hilfe eines sich in die Zellmembran integrierenden Vesikels; der Partikel wird damit durch Ausstülpung ausgeschieden
Eingestellt am 6. April 2024
.
Clostridia, Clostridien
5 Verkrampfung (AP)
.
Den Arm zu beugen, den Fuß zu strecken,
Befiehlt automatisch beim Geh‘n das Gehirn;
Feuert Signale
Zum längs sich des Rückens erstreckenden Hauptnervenstrangs.
Bereitwillig folgen die Muskeln des Neurotransmitters[1] Befehl,
Ziehen und schieben die Glieder zum schlendernden Gang.
.
Zunächst nur allmählich, dann ständig verstärkt,
Bleiben Rückbewegungen aus,
Denn, Erschlaffung des streckenden Muskels verhindernd,
Bewirkt das Toxin[2]
Für den beugenden Muskel
Eine schier nicht mehr endende Gegenkraft.
.
Die Glieder verdreh‘n sich,
Bleiben verkrampft und verkrümmt.
Manch einen Wirbel zerbrachen Verkrampfungen schon.
Erlösend steht die Atmung am Ende dann still.
.
Heute verhindert die Impfung alle zehn Jahre
Tetanus‘ grausames Spiel!
Wohl dem, der des Arztes Empfehlungen folgt
Und dem tödlichen Starrkrampf entgeht.
.
Fußnoten
[1] Neurotransmitter: Moleküle, die von einer Nervenzelle abgegeben und von einer anderen aufgenommen werden, wodurch Signale im Nervensystem weitergeleitet werden. Als bedeutende Neurotransmitter gelten z. B. Adrenalin, Acetylcholin, Serotonin und Dopamin, Glycin und GABA.
[2] Tetanospasmin oder einfach Tetanustoxin: Das wichtigste der von Clostridien ausgeschiedenen Toxine. Es hemmt die inhibitorischen Synapsen an den spinalen Motoneuronen sowie die Freisetzung der Neurotransmitter Glycin und GABA. Klinisch zeigt sich dies in einer spastischen Paralyse. (Wikipedia)
Eingestellt am 6. April 2024
.
Clostridia, Clostridien
6 Warum nur? (HP)
.
Wie viele andere ihrer Verwandtschaft,
Als anaerobe[3] Brüder im Boden;
Doch nur diese Zwei sinnen auf Tod.
.
Warum produzieren sie fast identisches Toxin,
Das Menschen buchstäblich auf ihre Nerven geht?
Oder ist es vielleicht doch nicht
Nur gegen unser Leben gedacht?
Was mag der Vorteil sein einer solch
Energie und Stickstoff verschlingenden Stoffproduktion?
.
Tiere mit Nerven bewohnen den Boden zuhauf,
Verletzen einander im ständigen Kampf.
Als Räuber ist jeder Beute zugleich.
Für Clostridium gilt dies sicherlich auch.
.
Anaerob lebt sich gut in abgeschotteten Wunden,
Kein Sauerstoff dringt von innen, noch von außen hinein.
In Ruhe sich spaltend, sich potenzierend,
Töten sie, Nerven und Muskeln blockierend, die wehrlos liegende Beute.
.
Kein Blut zirkuliert mehr im Körper umher,
Das zu Clostridium toxischen Sauerstoff brächte:
Kein Halten gibt es für Botulinum und Tetani mehr,
Den Kadaver[4], sich ständig darin vermehrend, dicht zu besiedeln.
.
Vorteile schafft im Kampf ums Überleben diese Strategie,
Die, vertretbaren Aufwand zugrunde gelegt,
Nahrung schier ohne Begrenzung in bester Umgebung
Für ungezählte Nachkommen bringt.
.
Der Preis für Stickstoff in Mengen verbrauchender Mittel,
Kehrt für die beiden zig-fach zurück:
Phosphat und Stickstoff dem leblosen Opfer entnehmend,
Sichern sie Generationen dauerhaften Gewinn.
.
Fußnoten
[1] Clostridium botulinum: Wurst-Clostridie
[2] Clostridium tetani: Erreger von Tetanus
[3] Anaerob: sauerstofffrei; Anaerobier leben nur unter sauerstofffreien Bedingungen
[4] Kadaver: Totes, sich zersetzendes Tier
Eingestellt am 6. April 2004
.