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Yersiniaceae, Pestbakterien

1 Die Bitte (TP)

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„O Herr, lass diese Plage doch

Nach so langer Zeit, schnell und für immer vergeh‘n!

Jede zweite Familie unseres Ortes liegt schon begraben,

Bald wird Totenstille in Oberammergau sein!“

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„Ein Versprechen, ein Gelübde,

Wollen wir heute dir geben:

Verschonst du uns vor dem grässlichen Reiter,

Dem schrecklichen Schwarzen Tod,

Beendest du unser heftiges Leiden,

So erinnern wir alle zehn Jahre

Mit einem Spiel

An deine für uns erlitt‘ne Passion.“

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Mit letzter Hinwendung sprachen sie diese flehende Bitte,

Hofften auf Gottes wirkende Hand. –

Seit hunderten Jahren schon erfüllen sie dieses Gelübde,

Ziehen weltweit Zigtausende Schaulustige an[1].

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Kaum einer, der nur ein Schauspiel erwartet,

Geht nachher unberührt seinen Weg

Und denkt, flüchtig vielleicht nur, darüber nach,

Warum Gott den Menschen aus ihrem Leiden verhalf.

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Fußnote

[1] Passionsspiele in Oberammergau/Bayern: Erstes Spieljahr 1634; ab dem 6. Spieljahr wechselte man auf das letzte Jahr jedes Jahrzehnts (1680 bis heute. Gelegentlich gab es Aufführungen dazwischen. Coronabedingt wurden die Spiele von 2020 auf 2022 verschoben. 2030 erfolgt die nächste Aufführung). https://www.passionsspiele-oberammergau.de/de/spiel/historie

Eingestellt am 6. April 2006  

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Yersiniaceae, Pestviren

2 Die Route (AP)

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Das Imperium[1] liegt schon lange danieder,

Zerfiel in einzelne Teile,

Doch Handelswege führen noch immer

Güter aus dem Osten heran.

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Händler und Sklaven kommen

Aus Asiens fernen Landen,

Beladen mit Lasten, Krankheit und Not. –

Mancher sieht die Heimat nie mehr.

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Ermattet, erschöpft von heftigen Schmerzen,

Druckempfindlich an Beugen und Hals,

Entdecken sie weißliche Beulen:

Klein wie Amygdala[2], wie Punica[3] groß.

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Ein Kaufmann verlor schon die halbe Mannschaft.

Die Starken, auch schon geschwächt,

Ziehen noch langsam dahin.

Bringen die noch verborgene Krankheit

Bis nach Ravenna, Italiens Norden,

Am Ende nach Rom.

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Sie breitet sich aus nach Germanien und Gallien,

Schlägt alle zwölf Jahre besonders hart zu,

Verebbt erst zu Karls des Großen[4] Zeiten,

Gibt dann fast sechshundert Jahre lang Ruh.

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Erneut bricht sich die Seuche,

Wohl wieder von Asien kommend,

Im vierzehnten Jahrhundert

Seine menschenmordende Bahn

Und rafft Europas Bewohner zu fast einem Drittel

Binnen weniger Jahre dahin.

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Zu dünn wohl besiedelt sind danach die Lande,

Dem Schwarzen Tod die Verbreitung zu sichern;

Bis drei Jahrhunderte später erneut

Die letzte Pestwelle kommt.                  

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Fußnoten

[1] Römerreich

[2] Mandeln: Prunus amygdalus (Rosoideae – Rosaceae – Rsoales – ZyFaRoFaCu-Verwandtschaft – Rosanae – …)

[3] Punica granatum: Granatapfel (Lythraceae – Myrtales – Malvanae – Rosidae – Superrosidae – …)

[4] Karl der Große (747 – 814): 768 – 814 König des Frankenreichs, ab 800 Kaiser)

Eingestellt am 6. April 2024

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Yersiniaceae, Pestbakterien

3 Außer Kontrolle (AP)

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Chaos herrscht in fast jeder Stadt!

Kein schwarzes Tuch zum Begraben lässt sich mehr finden,

– Was dem Schwarzen Tod wohl den Namen verlieh. –

In Pesthäusern siechen Kranke die letzten Tage dahin,

Reißen Ärzte und Pfleger

Mit ins Grab.

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Nahrungsmittelversorgung bricht allerorten zusammen.

Nur Ratten[1] und Flöhe[2] finden reichlich gedeckt den Tisch,

Denn Tote bleiben unversorgt liegen.

Manche Städte vermauern die toddurchrittenen Straßen.

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Klar vor Augen steht die Erkenntnis,

Tote streu‘n die Krankheit um sich.

Angst davor breitet sich aus!

Kriegsheere katapultieren Leichen in die belagerte Stadt.

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Doch sie bestrafen sich selbst

Für die ehrlose Tat:

Bevor über die Mauer der Tote fliegt,

Stecken am Opfer viele mit Pest sich an.

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Wie nahe liegt doch die Lösung,

Doch keiner hat sie erkannt:

Mit Ratten als Träger

Rennt die Seuche durchs Land!        

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Fußnoten   

[1] Ratten: Rattus (Murinae – Muridae – Muroidea – Myomorpha – Rodentia – …)

[2] Flöhe: Siphonaptera (Antiliophora – Mecopteroida – Neuromecoptera – Holometabola – Neoptera - …)

Eingestellt am 6. April 2024

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Yersiniaceae, Pestbakterien

4 Zusammenhänge (AP)

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Nagetiere[1], meist Ratten[2] in freier Wildbahn, sind Yersinias[3] Helfer.

Doch sie allein genügen nicht der Pestilenz!

Flöhe[4] spannt sie ein

Zum Transport von einem zum anderen Tier.

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Ratten der Stadt, zu Besuch auf dem Land,

Bringen, durch Flöhe beimpft,

Yersinia mit zurück ins urbane[5] Revier,

Entziehen, sterbend, Flöhen das Blut.

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In ihrer Not überwinden Flöhe

Die Abneigung gegen die Menschen

Und stechen, ohne mögliche Wahl,

Wie ihre vornehmen Ahnen blutdürstig zu.

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Yersinien lassen Flöhe noch lange am Leben.

Fühlen sich wohl in der Blutsauger Darm,

Baden, wiederholt sich teilend,

Im aufgenommenen Blut.

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Belegen dichtfilmig die Wand des Verdauungskanals,

Entnehmen, als würde für sie nur Nahrung es sein,

Das Beste vom Besten und leiten mit schlüpfriger Matrix

Ungenutzte Ressourcen unvermittelt nach außen mit fort.

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Der Floh, hungrig trotz gierigen Saugens,

Sticht, mehrfach sein Jagdrevier wechselnd,

Umso hektischer zu,

Bis all seinen Inhalt er in die Wunde erbrach.

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In die Blutbahn entlassen,

Treiben rhythmische Ströme

Yersinia pestis dem Körper entlang. –

Sammelt, Beulen aufwerfend, sich in Lymphknoten[6] an.

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Fußnoten

[1] Nagetiere: Rodentia (Glires – Euarchontoglires – Boreoeutheria – Placentalia – Theria – …)

[2 Ratten: Rattus (Murinae – Muridae – Muroidea – Myomorpha – Rodentia – …)

[3] Yersinia pestis: Pestbakterium (Yersinaceae – Gamma-Proteobacteria – Gramnegative – Bacteria)

[4] Flöhe: Siphonaptera (Antiliophora – Mecopteroida – Neuromecoptera – Holometabola – Neoptera - …)

[5] Urban: städtisch

[6] Lymphknoten: Erbsengroße Sammelpunkte der Lymphe; filtern Pathogene und Zellen heraus

Eingestellt am 6. April 2024

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Yersiniaceae, Pestbakterien

5 Heimtückisch (AP)

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Wer hat ihnen die Widerstandskraft im Körper verlieh‘n,

Mit der sie dem Warn- und Abfangsystem erfolgreich entgeh‘n?

Nur jene Bakterien überleben die Jagd,

Deren äußere Hüllen mit solch Antigenen[1] verseh‘n,

Die der Fangzellen[2] Werk wirksam umgeh’n,

Sich der Phagocytose[3] folglich entzieh‘n.

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Schritt für Schritt, auf dreifache Art,

Entkommen Yersinien der hetzenden Jagd:

Zwei Proteine blenden der Fresszellen Sicht,

Ein drittes dringt, Actinfilamente[4] zerstörend, in die Fresszellen ein,

Verhindert, mit residenten Proteinen raffiniert kombiniert,

Der Phagocytose Funktion.

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Eine letzte Waffe versteckt sie unter der äußeren Hülle:

Endotoxine[5] entströmen nach der Membran[6] Zerstörung,

Vergiften die nahe Umgebung, letztendlich den Körper,

Führen zum plötzlichen Tod.

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Hat sich Yersinia etwas Gutes damit getan,

Das Opfer vorschnell zu töten?

Denn Flöhe[7] meiden die Leichen.

Sind Ratten[8] Yersinias Ziel?

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Wären nur diese Vektoren Yersinias Helfer,

Wäre die Krankheit lang nicht so hart.

Doch sie findet den Weg hin zur Lunge:

Husten verteilt sie in der umgebenden Stadt.

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Fliegen mit Tröpfchen in Nase und Mund,

Dringen in Lymphe[9] und Blutbahnen ein,

Töten nach zwei bis vier Tagen die Opfer,

Verbreiten Entsetzen und Trauer von Ort zu Ort.

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Zu aggressiv ging die Pest oft zu Werke,

Dünnte der Wirte Populationen zu sehr aus:

Flöhe, Menschen und Ratten wurden zu wenig

Und jagten, so paradox es auch klingt, als Tote die Seuche hinaus. –

Bis nach Jahren, oft nicht so heftig,

Yersinia pestis doch wieder kam.

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Wer will schon solche Kräfte entfesseln,

Die wahllos Böse und Gute todbringend treffen,

Zerstören und töten, was kurz oder lang schon gelebt

Und ständig nach Höh‘rem gestrebt?

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Gott war es nicht, der die Seuche ausstreute,

Der zu überleben ihr half.

Doch, wer leidenschaftlich ihn um Verschonung bittet,

Findet, wie Oberammergau[10], bald sein Gehör.

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Fußnoten

[1] Antigene: Oberflächen (Glyco)Proteine, generell molekulare Strukturen von Pathogenen, die von Immunzellen Befallener als fremd erkannt werden und daraufhin Antikörper dagegen entwickeln

[2] Fresszellen: Weiße Blutkörperchen. Sie dienen der Beseitigung von Mikroorganismen durch Phagocytose und stellen stammesgeschichtlich die vermutlich ältesten Teile der angeborenen Immunabwehr dar. Makrophagen können auch fusionieren und mehrkernige Riesenzellen bilden, um größere Fremdkörper durch Phagozytose zu umschließen und zu verdauen

[3] Phagocytose: Aufnahme von Partikeln (organismische oder organische) in einen Vesikel, um sie zu verdauen

[4] Actin,Fädiges Actin: Actin ist ein häufiger Bestandteil des Cytoskeletts und kommt besonders in Muskelzellen vor; zu Fäden polymerisiert (F-Actin), dient es der Stabilisierung der äußeren Zellform sowie der Ausbildung von Zellfortsätzen, intrazellulären Verlagerungen und gerichteten intrazellulären Bewegungen.

[5] Endotoxine: Bestandteile der Lipopolysaccharide der äußeren Zellmembran gramnegativer Bakterien; sind häufig hitzestabil und werden von lebenden gramnegativen Bakterien durch Abspaltung von Vesikeln, beziehungsweise beim Absterben freigesetzt.

[6] Äußere Lipidoppelmembran: Membran, die gramnegative Bakterien außen umgibt

[7] Flöhe: Siphonaptera (Antiliophora – Mecopteroida – Neuromecoptera – Holometabola – Neoptera - …)

[8] Ratten: Rattus (Murinae – Muridae – Muroidea – Myomorpha – Rodentia – …)

[9 ]Lymphe: In Lymphgefäßen fließende, wässrige, hellgelbe Flüssigkeit als Zwischenglied zwischen Gewebsflüssigkeit und Blutplasma. Das Lymphsystem mit Lymphgefäßen als Leitungsbahnen ist neben dem Blutkreislauf das wichtigste Transportsystem. Es ist auf den Transport von Nähr- und Abfallstoffen spezialisiert und entsorgt in den Lymphknoten auch Krankheitserreger wie Bakterien und Fremdkörper (Wikipedia)

[10] Oberammergau: Passionsspiele in Oberammergau/Bayern

Eingestellt am 6. April 2024

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