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Viri, Viren

1 Entartet (HP)

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Glückt es, auch durch letzte Grenzen noch zu stoßen,

Lassen, weil doch frei der Zugang zu Ressourcen,

Aggressoren ihre eignen Fähigkeiten außer Acht,

Nutzen Herbergszellen ohne Rücksicht nur für sich.

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Wozu Enzyme[1] selbst noch produzieren,

Wenn des Wirts Fermente[2]

Schnell und reichlich Waren liefern,

So des Fremden Wünsche rasch zu stillen? –

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Verliert das Pathogen[3] im Laufe der Entwicklung Gen um Gen,

Bleiben Wirtsfunktionen doch für ihn besteh’n;

Dann greift ohne Zögern jeder ungebetene Gast

Ganz ungeniert zurück auf des Opfers Kraft.

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Ungenutzt und überflüssig stellt so manches Gen die Wirkung ein.

Wirtsenzyme selbst kopieren nun des Frechen DNA[4],

Werden, fremdbestimmt, zu willigen Vasallen;

Fördern dazu gezwungen, ungewollt des Parasiten Potential.

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Allmählich geht des Okkupanten Eigenständigkeit verloren,

Denn Lebenswichtiges ging seit Langem schon dahin.

Macht nichts! Läuft der Lebenszyklus so viel schneller doch,

Erlaubt, stark sich zu verkleinern, weil der Wirt für ihn malocht.

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Nur eines bleibt dem frechen, winzigkleinen Wesen wichtig:

Wie erhalte ich die Basis meines Lebens?

Blieben doch der eignen DNA kaum Gene noch.

Diese schützt er, Hüllen bei der Todgeweihten zu erzwingen, unbeirrt. –

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Zylindrisch, rund, ikosaedrisch[5] meist,

Mitunter gar geschwänzt, erweist sich

Seine Hülle, das Capsid[6]:

Darüber eine Hüllmembran[7],[8] vielleicht,

Entspringen Viren innerlich verbrauchten Zellen.

Erwarten Winde, Wasser, andere Vektoren[9],

Zellen zu finden, die sie vermehren;

Sie selbst sind nicht mehr fähig dazu.

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Fußnoten

[1] Enzym: Protein, das, an spezielle Moleküle angepasst, die Synthese katalysiert. Meistens werden mehrere Enzyme zu einem Komplex verbunden, um eine räumliche Nähe zwischen den einzelnen, aufeinanderfolgenden Syntheseschritten herzustellen

[2] Ferment: älteres Wort für Enzym

[3] Pathogen: Krankheit hervorrufender Organismus; Begriff meist verwendet für Viren, Bakterien und Pilze; bei größeren Organismen spricht man eher von Parasiten

[4] DNA (=DNS):DesoxyribonucleinicAcid, Desoxyribonukleinsäure; mit einer reduzierten Ribose; das [–OH] am C2 der Ribose fehlt; Baustein der Erbinformation

[5] Ikosaeder: Polyeder mit zwanzig kongruenten, gleichseitigen Dreiecken als Flächen, mit dreißig gleichlangen Kanten und zwölf Ecken, in denen jeweils fünf Seitenflächen zusammentreffen

[6] Capsid: Komplexe, regelmäßige Struktur von Viren aus Proteinen, die der Verpackung des Virusgenoms dient.

[7] Äußere Lipiddoppelmembran: Viele Viren besitzen, wie gramnegative Bakterien, eine äußere Lipiddoppelmembran; sie leitet sich jedoch von der Zellmembran der Wirtszelle ab, die sie im Zuge ihrer Befreiung umhüllt und somit nicht von den Viren stammt, sie lagern jedoch eigene Moleküle in diese Hülle ein

[8] Viren besitzen keine Zellmembran, also auch keine innere Lipiddoppelmembran, sind sie doch keine Zellen

[9] Vektor: Transporteur, Überträger, Ausbreiter

Eingestellt am 6. Juli 2024

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Viri, Viren

2 Ordnung im Kleinsten

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Ob aus gleichseitigen Dreiecken oder aus Schrauben gefügt,

Schützen Capside[1] die Information für Struktur

Und Umbau des Wirts Synthesesystem,

Ebnen so für Invasionen den Weg.

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Gene für Kapselgestalt[2] bleiben hochkonserviert,

Setzen sich unabänderlich fest im Genom,

Gleich, wie Nukleinsäureketten[3] konstruiert,

Behalten sie Zentralposition.

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Sind sonst, was Informationssysteme betrifft,

Hochvariabel, greifen auf DNA[4]- oder RNA[5] zurück.

Jegliche Form ist ihnen willkommen:

Ob Doppel- oder Einzelstrang,

Zirkulär, linear,

Als Einzelfaden oder in Stücken,

Ob minuspolar[6], ob pluspolar[7],

Alles dient dem einzigen Ziel:

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Zu gestalten der Außenseite Glycoprotein[8]

Für Andockmanöver am Wirt,

Lassen der Zelle ganz ohne Argwohn

Die Kapsel durch Endocytose[9] ins Innerste führ‘n.

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Im Vesikel[10], durch Säuren aktiviert,

Zerstören des Capsids Glycoproteine

Der Endosomen[11] Membran[12]

Und, wie zu Hause sich fühlend,

Fangen auf Kosten sie, auch mit Hilfe, des arglosen Wirts,

Ihr eigennütziges Bauprojekt an.

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Sämtliche fremde Ressourcen benutzend,

Ob cytoplasmatisch[13] oder im Kern[14],

Auch jegliche Maschinerie

Verwenden sie gern.

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Einzelteile, zu Tausenden in gekaperten Zellen gehäuft,

Vereinen sich ohne viel Aufwand,

Nukleinsäurefäden[15] umhüllend,

Zur wohlgeordneten Virenstruktur.

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Bis zum Grunde liegt die Zelle erschöpft,

Die Alles, auch das Letzte noch gab.

Okkupanten, Fremde, füllen sie an,

Zerstören sie oder knospen sich nach und nach ab.

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Alles Verloren!

Keine Abwehr war ihr vergönnt.

Fast nichts blieb von ihr,

Nur für Nachbarn ein kläglicher Rest.

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Raffinierter noch sind andere Viren:

Stülpen, damit sich hüllend,

Masken aus Fremdplasmalemma[16] um ihr Capsid.

Durchstoßen mit Glycoproteinen ihre tarnende Kappe,

Damit den geeigneten Wirt zu erkennen,

Verschärfen ihr Zerstörungswerk so exponentiell[17].          

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Fußnoten

[1] Capsid: Komplexe, regelmäßige Struktur von Viren aus Proteinen, die der Verpackung des Virusgenoms dient.

[2] Kapsel: Capsid

[3] Als RNA oder DNA, ob einzel- oder doppelsträngig

[4] DNA (=DNS):DesoxyribonucleinicAcid, Desoxyribonukleinsäure; mit einer reduzierten Ribose; das [–OH] am C2 der Ribose fehlt; Baustein der Erbinformation

[5 ]RNA (=RNS): Ribonucleinic acid, Ribonucleinsäure; Transporteur der Erbinformation in verschiedenen Ausführungen; mRNA, messenger-RNA, übersetzt den genetischen Code der DNA in für tRNAs ablesbare Matrizen; tRNAs übersetzen die Informationen der mRNA in die verschiedenen Aminosäuren; rRNA, ribosomale RNA, verknäuelt sich unter Beteiligung von Proteinen zum Ablesegerät (Ribosomen) der tRNAs, um Aminosäuren zu Proteinen zu verknüpfen

[6] (–)-polare einzelsträngige RNA (Viren): Virale, einzelsträngige RNA wird vom Wirt nicht als mRNA erkannt und muss von viraler RNA-Polymerase zunächst in eine (+)-polare RNA umgeschrieben werden, damit sie als mRNA wirken kann

[7] (+)-polare einzelsträngige RNA (Viren): Virale, einzelsträngige RNA wird vom Wirt als mRNA erkannt, weil am C3 der Ribose, nahe des C5 die nächste freie [–OH]-Gruppe steht; das C5 ist mit einem Phosphat besetzt und kann nicht mit einem Nucleotid in Verbindung treten (daher erfolgt die RNA-Synthese nur und immer in 5‘ à  3‘ Richtung und nicht umgekehrt; nur in dieser positiven Richtung sind die Basentripletts als Codes in der richtigen Folge und geben für Proteinsynthese Sinn). (+)-polare RNA wird deshalb unmittelbar für die Synthese von Proteinen verwendet.

[8] Glycoproteine: Substanzen aus Zuckern und Proteinen

[9] Endocytose: Aufnahme eines Partikels aus der Zellumgebung mit Hilfe eines aus der Zellmembran durch Einstülpung entstandenen Vesikels

[10] Vesikel (Zellvesikel): Kleine, abgegliederte, rundliche, doppelmembranumhüllte Behälter.

[11] Endosom: Mikrobenumschließendes Vesikel, entstanden aus einer Zellmembraneinstülpung

[12] Membran, Lipiddoppelmembran: Lipide, bestehend aus einem mit drei Hydroxylgruppen [–OH] versehenen Glycerinmolekül, an dem zwei Fettsäuren und ein Cholin unter Wasserabspaltung angeknüpft sind, zeigen einen hydrophilen Kopf (Glycerin und Cholin) und den hydrophoben Fettsäureschwanz; nach dem Motto Gleich zu Gleich gesellt sich gern, ordnen sich die hydrophilen Köpfe zum einen und die hydrophoben Schwänze zum anderen nebeneinander an und bilden eine geschlossene Schicht; eine Doppelmembran entsteht dann, wenn sich zwei solcher Schichten, hydrophobe Schwänze zueinander gereckt, aneinanderlegen

[13] Cytoplasma: Flüssiger Zellinhalt mit darin liegendem Cytoskelett

[14] Zellkern: Chromosomen einschließendes, cisternenumgebenes Organell der Eukarya, in dem u. a. im Zuge der Mitose die Verdoppelung der Chromosomen stattfindet

[15] Nucleinsäuren: generelle Bezeichnung für DNA und RNAs

[16] Plasmalemma: Zellmembran (Lipiddoppelmembran) von Organismen mit starrer Zellwand; wird oft als Gegenstück zum Tonoplasten betrachtet, der im Zellinneren eine größere Saftvakuole umgibt; für Bakterien und Animalia kein gebräuchlicher Begriff.

[17] Exponentiell: Prozess, bei dem sich eine Größe jeweils in gleichen Zeitschritten immer um denselben Faktor vervielfacht; ein solcher Verlauf kann bei einer exponentiellen Zunahme durch die Verdopplungszeit angegeben werden. (Beispiel aus der Erzählung, wie jemand Unmögliches verlangte: so viel Weizenkörner zu bekommen, wie nach ständiger Verdopplung in Summe bis zum 32. Schachbrettfeld zusammenkommen: 1 + 2 + 4 + 8 + 16 + 32 + 64 + 128 + …  u.s.w.)

Eingestellt am 6. Juli 2024

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Viri, Viren

3 Eine Frage (AP)

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Warum, wozu, gibt es Viren,


Diese schönen, auch wieder hässlichen Kreaturen?

Ohne Leben und doch mit zerstörendem Sinn?

Zur Plage der Welt sind sie geworden.

  

Frag Kreationisten[1], auch Designisten[2],

So wird dir sicher Antwort zuteil!

Sie bleiben nicht stumm,

Doch du weißt genau:

Gott war es nicht, der sie uns schuf,

Denn welche Liebe sendet so eine Qual? –

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Ob von ballasterleichterten, verschlankten Bakterienparasiten herkommend,

Oder doch nur von Abfallschnipseln außer Kontrolle geratener bakterieller DNA und RNA,

Oder gar schon zu Beginn der Evolution ins abhängige Leben geraten,

Weiß heute niemand genau.

Verlust und Gewinn von Sequenzen,

Verwischten jegliche Abstammungsspur.

 

Fußnoten

[1] Kreationisten: Kreationisten glauben, Gott hätte, wie die Bibel berichtet, die Welt in sechs Tagen so erschaffen, wie heute sie ist und daher könne die Welt nicht älter als fünf- bis sechstausend Jahre sein

[2] Designisten („Intelligent Design“): Designisten glauben, Gott hätte einen Grundbauplan erschaffen, zum Beispiel den Typ Vogel, der sich dann weiterdifferenziert und -entwickelt hätte

Eingestellt am 6. Juli 2024

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