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Mimiviridae: Täuschviren
1 Riesig und doch nur Viren (AP)
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Zehnmal so groß oft wie die Mehrzahl der Viren
Galten anfangs als kleinste Bakterien sie nur,
Die kaum einen halben Mikrometer[1] als Durchmesser zeigen,
Doch ihr Ikosaederbau[2] zeichnet eindeutig als Viren sie aus.
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Untypisch aber erweist sich der Ikosaeder,
Hebt er doch einen der fünf Dreiecke Treffpunkte hervor,
Lässt von dort aus ein wenig die Nähte sich weiten,
Gestaltet das Zentrum als Ort, an dem DNA[3] aus dem Inneren tritt hervor,
Als Sterntor wird die Stelle gerne bezeichnet.
Wie gut der Ausdruck, lässt sich erkennen, blickt man direkt darauf.
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Doch nicht nur dies! Mimivirus[4] umgibt sich mit kompaktem Saum aus Proteinfilamenten,
Ein Drittel Mimivirus‘ Größe lang, am Ende eine Kappe jeweils daran.
So besteh‘n vielleicht sie eher aus Glycoprotein[7].
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Wohl mit Absicht lassen sie’s Stargate ohne solche Bedeckung.
Werden, von Acanthamöben[8] umzingelt, so wie die Mimiviren nun sind,
Alsbald öffnet sich Mimivirus‘ sternartiges Tor:
Eine Lipiddoppelmembran[11], was Hinweise besagen,
Integriert sich in des Endosoms Membranumhüllung[12],
– Eine dünne Proteinschicht[15] umhüllt das lange Linearchromosom
Zusammen mit mRNA[16] und vorgefertigten Proteinen –
Gelangt nun dorthin, wohin es von Anfang hatte gewollt.
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Alles, was folgt, erledigt Mimivirus im Cytoplasma ihrer Amöbe:
Richtet häuslich sich ein, baut eine Virenfabrik[17]
Ansehnlich groß in einem engbegrenzten Bereich des Wirtscytoplasmas,
Wo vermutlich Mimivirus‘ die mitgebrachte RNA-Polymerase[18] vermehrt,
Sämtliche Komponenten des Virus entstehen und
Nach und nach die Dreihunderterschar aus der Fabrik peripher sich löst.
Am Ende zerplatzen Acanthamöben, neuentstandene Viren
Heften sich anderen[19], falls vorhanden, verführerisch an.
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Recht eigenartig, aus menschlicher Sicht zumindest,
Ist Mimivirus‘, DNA-Verpackungsstrategie:
Nicht Sterntore werden, Chromosomen aufzunehmen, verwendet,
Nein! Gegenüber bleibt eine Öffnung, die sich nach Einlass verschließt. –
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Ist nun Mimivirus, falls einer Lipidmembran Existenz unterm Capsid[20] sich bestätigt, ein
Typisches Virus oder nur ein arg reduziertes Minibakterium, das Eigenständigkeit weitestgehend verlor?
Das große Genom mit eins Komma eins Megabasenpaaren[21],
Die fast tausend codierende Gene enthalten – wohl begründet geschätzt –
Einundzwanzig Gene darunter wurden entlarvt, verantwortlich, Protein zu codieren,
Einige, die bislang von keinem Virus bekannt,
Vielmehr nur von zellulären Organismen;
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Eigene Ribosomen[25] scheinen zu fehlen,
Berichtet doch niemand einen positiven Befund.
Was sonst sie von Acanthamöben nehmen,
Ist wohl nicht viel mehr als das, was ein pathogenes Bakterium bekommt.
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Die Neuerung schlechthin aber, die Riesenviren wie Mimivirus erfanden,
Ist der regelmäßige, ikosaedrische Grundbau ihres Capsids,
Ein Merkmal, das die Mehrheit der Viren verbindet;
Mimivirus‘ Glycoproteinfilamente erinnern an mancher Bakterien hüllenden Bau.
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Mit fast tausend Genen
Kommt die Doppelhelix jener von Bakterien sehr nah;
Bildet selbst noch Chaperone[26] zum Proteinefalten,
Repariert auch Fehler der eigenen DNA. –
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Wo ist die Grenze nun, überlegt so manch ein Forscher,
Zwischen Viren, die sich ausschließlich vermehren lassen und
Stark reduzierten Bakterien, die auf alles verzichten,
Was sie nicht unbedingt brauchen, weil Notwendiges andere für sie tun.
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Fußnoten
[1] Mikrometer, µm: Tausendstel Millimeter (10-3mm); Millionstel Meter (10-6m)
[2] Ikosaeder: Polyeder mit zwanzig kongruenten, gleichseitigen Dreiecken als Flächen, mit dreißig gleichlangen Kanten und zwölf Ecken, in denen jeweils fünf Seitenflächen zusammentreffen
[3] DNA (=DNS):DesoxyribonucleinicAcid, Desoxyribonukleinsäure; mit einer reduzierten Ribose; das [–OH] am C2 der Ribose fehlt; Baustein der Erbinformation
[4] Mimivirus: Täuschvirus, täuschte ein Bakterium vor (Mimiviridae - Herkömmlich transkribierende Doppelstrang-DNA-Viren – Doppelstrang-DNA-Viren – DNA-Viren – Viren – Bacteria)
[5] Proteasen: Proteine oder Peptide abbauende Enzyme, dabei lösen sie durch Hydrolyse die Bindungen zwischen ihren Aminosäuen auf
[6] Gram-Färbung: Eine Methode, Bakterien anzufärben, die der dänische Arzt Hans Christian Gram entwickelt hatte, um Bakterien nach Farbreaktionen einzuteilen; dabei werden die Bakterien zunächst mit Kristallviolett und Jod angefärbt und anschließend mit Ethanol ausgewaschen und nochmals mit Safranin oder Fuchsin gefärbt; gram-positive Bakterien sind danach purpurn gefärbt, Gram-negative pinkfarben.
[7] Glycoproteine: Substanzen aus Zuckern und Proteinen
[8] Acanthamoeba: Stachelamöbe (Acanthamoebidae – Discosea – Amoebozoa)
[9] Verdauungsvakuolen: Mikrobenumschließende Vesikel, entstanden aus Zellmembraneinstülpungen
[10] Endosom: Mikrobenumschließendes Vesikel, entstanden aus einer Zellmembraneinstülpung
[11] Lipiddoppelmembran: Lipide, bestehend aus einem mit drei Hydroxylgruppen [–OH] versehenen Glycerinmolekül, an dem zwei Fettsäuren und ein Cholin unter Wasserabspaltung angeknüpft sind, zeigen einen hydrophilen Kopf (Glycerin und Cholin) und den hydrophoben Fettsäureschwanz; nach dem Motto Gleich zu Gleich gesellt sich gern, ordnen sich die hydrophilen Köpfe zum einen und die hydrophoben Schwänze zum anderen nebeneinander an und bilden eine geschlossene Schicht; eine Doppelmembran entsteht dann, wenn sich zwei solcher Schichten, hydrophobe Schwänze zueinander gereckt, aneinanderlegen
[12] Membranumhüllung: seine Lipiddoppelmembran
[13] Cytoplasma: Flüssiger Zellinhalt mit darin liegendem Cytoskelett
[14] Nucleocapsid: Einheit proteinassoziierter Chromosomen
[15] Proteine: Aus Aminosäuren aufgebaute, komplexe Moleküle. Die [–NH2]-Gruppe einer Aminosäure wird mit der Hydroxylgruppe [–OH] der Säurefunktion [–COOH] unter Wasserabspaltung verknüpft, dabei entsteht eine charakteristische Abfolge von Atomen: [–C–N–C–C–N–]n, wobei das unmittelbar dem [N] benachbarte [C] einen doppelbindigen Sauerstoff [–C=O] trägt
[16] mRNA, messenger RNA, Boten RNA: Übersetzt den genetischen Code der DNA in für tRNAs ablesbare Matrizen
[17] Virenfabriken: Spezielle, gut abgegrenzte Bereiche in Wirtszellen, in denen der Viren Synthese und Zusammenbau erfolgt
[18] RNA-Polymerasen: Enzyme, welche die Synthese von RNA aus Nucleotidtriphosphaten (Ribose als Zucker und Uridintriphosphat, UTP, anstelle von Thymidintriphosphat, TPP, verwenden) als monomere Vorstufen (Einzelvorstufen) katalysieren
[19] Drei Arten wurden bislang als Wirte nachgewiesen: Acanthamoeba polyphaga, A. castellanii und A. mauritaniensis
[20] Capsid: Komplexe, regelmäßige Struktur von Viren aus Proteinen, die der Verpackung des Virusgenoms dient.
[21] Megabasenpaare, MBp: eine Million Basenpaare = eintausend Kilobasenpaare
[22] Zuckerstoffwechsel: Stoffwechsel, der Synthese, Ab- und Umbau von Zuckern betrifft
[23] Lipidstoffwechsel: Stoffwechsel, der Synthese, Ab- und Umbau von Fetten (Lipiden) betrifft
[24] Aminosäurestoffwechsel: Stoffwechsel, der Synthese, Ab- und Umbau von Aminosäuren betrifft
[25] Ribosom: Organell aus ribosomaler RNA und Proteinen. Es dient zur Translation der mRNA-Informationen in Proteine. Meist sind mehrere Ribosomen über die mRNA kettenartig verbunden, um zugleich mehrere Ablesevorgänge hintereinander ablaufen lassen zu können
[26] Chaperone: Proteine, die neusynthetisierte Proteine bei ihrer Faltung unterstützen
Eingestellt am 6. Juli 2024
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