zum Glossar über:
Onygenaceae, Hornpilze i.e.S.
1 Eine besondere Nische
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Wenn Federn und Haare den Tieren entfallen,
Mühsam und kunstvoll von ihren Trägern geformt,
Möchte wohl mancher sich sehnen,
Den kostbaren, von andern verworfenen Wert
Für sich als Moleküllieferant zu verwenden,
Wird aber bald sich gestehen:
Zwecklos, zu fest und stabil sind die Fasern gepackt.
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Wer kann schon die hohe Ordnung
Fest ineinandergefügter Aminosäurehelices[1],[2] lösen,
Die paarweise eng aneinandergeschmiegt,
Je zu zweit zu einzelnen Fasern wieder sich legen,
Um erneut, zu dickeren Bündeln vereint,
Zähe, oft starre Komplexe wie Taue zu bilden?[3]
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Cysteine[4] geben dem ganzen vernetzenden Halt
Mit Disulfidbrücken[5] von Helix zu Helix,
Von +Fibrillen zur Faser, weiter zum Strang.
Proteasen[6] ein Gräuel, falls nicht besonders getrimmt,
Und doch gelingt es ausgepufft Raffinierten
Sich zu bedienen daran.
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Onygena[7] und ihre Verwandten, wie sie alle noch heißen,
Leben ausgezeichnet von dem haarig-hornigen[8] Zeug;
Zehren allein von verborgenen Dingen,
Die in Horn und Haaren liegen vertäut.
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Mögen viele im Boden sich bergen,
Fruchtkörper unaufwendig nur formen als
Kleine, runde Gebilde zwischen Haaren, Federn und Streu,
Oygena selbst aber strebt mit Stiel und Köpfchen empor.
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Doch eines haben sie alle gemein:
Arthrokonidien[9], in Reihe mit Abstand geboren,
Lassen benachbarter Zellen Septen[10] zerreißen, sich zu befreien,
Gehen in trockenen Massen davon;
Suchen, wenige aber werden auch fündig,
Verstreute Haare, Federn und Horn.
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Fußnoten
[1] Aminosäuren: Organische Säuren mit einer Amino-[–NH2] Seitengruppe. Biologisch bedeutend sind hauptsächlich jene Aminosäuren, die an dem der Säuregruppe benachbarten Kohlenstoffatom diese Gruppe besitzen
[2] Helix: Spirale
[3] Keratin: Sammelbegriff für verschiedene wasserunlösliche Faserproteine, die von Tieren gebildet werden und Hornsubstanz charakterisieren; entsprechend ihrer molekularen Konformation, als α-Helix oder β-Faltblatt unterscheidet man α- und β-Keratin; zu Büdeln treten in hierarchischer Ordnung mehrere Fibrillen zu Fasern zusammen und sind umso steifer, je stärker ihre Komponenten durch Disulfidbrücken der Aminosäure Cystein quervernetzt sind
[4] Cystein: Schwefelhaltige Aminosäure
[5] Disulfidbrücke: [–S–S–]
[6] Proteasen: Proteine oder Peptide abbauende Enzyme, dabei lösen sie durch Hydrolyse die Bindungen zwischen ihren Aminosäuren
[7] Onygena spp.: Hornpilze (Onygenaceae – Onygenales – Eurotiomycetidae – Eurotiomycetes – Bitunicate Ascomycota -…)
[8] Horn: Substanz, die aus abgestorbenen, mit Keratin gefüllten Zellen besteht
[9] Arthrokonidien: Gliederkonidien; thallische Bildungsweise; hintereinanderliegende Hyphenzellen können dabei in je eine dickwandige Gliederkonidie zerfallen, oder jede zweite Zelle nur wird zur Konidie, wobei die zwischenliegende Zelle kollabiert und dem Separieren der Arthrokonidien dient.
[10] Septum (Algen, Pilze): Querwand eines einzellreihigen Fadens, eines Trichoms, eines Zellausläufers, einer Hyphe
Eingestellt am 15. März 2025
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Arthrokonidien von Coccidioides immitis, Onygenaceae
Hier bildet jede zweite Zelle intern eine Konidie (enterothallisch); Zellen dazwischen kollabieren, helfen den Arthrokonidien sich zu separieren.
Autor: Dr. Hardin
Lizenz: Gemeinfrei; unverändert
Eingestellt am 15. März 2025
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Onygenaceae, Hornpilze i.e.S.
2 Was die einen gekotzt, kommt den anderen recht
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Irgendwo landen sie
– Vergeblich der meisten Bemüh‘n –
Federn und Haare in naher Umgebung zu finden,
Bevor Reserven für immer dahin;
Doch der Sporen Menge sichert ihnen Erfolg.
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Auf einen Ballen schleimverbundener Federn treffen sie,
Gelangten irgendwie genau dorthin;
Lassen die Speise sich, wie serviert kommt ihnen sie vor,
Bestimmt nicht entgeh‘n,
Treiben ihre Vorhut hinaus und hinein und schließen:
Hier hast du Nahrung, hier bist du zuhaus.
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Durchzieh‘n – die Mühe hat sich gelohnt, die Strahlen[3], zu lösen –
Dicht mit Fäden[4] das ganze Gezaus,
Finden, mit Feuchte frisch noch durchtränkt
Für Stickstoff und Schwefel, den sie nicht brauchen
– Kein Wunder weil Onygena nur mit Keratin[5] sich ernährt –
Genügend Raum, ihn elegant zu entsorgen.
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Feine Flocken formen sie nahe der Grenze des Balls[6]
Dem Licht entgegen; noch fühlen die Richtung sie nur,
Doch schon durchdringen Knäuel die weich gewordenen Federn,
Strecken ein Stielchen mit Köpfchen zur Helle empor[7].
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Noch liegen sie wirr, die Hyphen, darin,
Bald aber drängen Ascogone[8] die Fäden zur Seite,
Treiben, nachdem sie männliche Kerne empfangen,
Mächtige Hyphen, Asci[9] zu bilden, hervor. –
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Als sie von ihren Ururahnen sich trennten,
Um alles, was viel zu kompliziert,
Beiseitezuschieben, für ein unaufwendigeres Leben. –
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Acht Sporen – wie sich‘s für Pezizomycotina[12] gehört –
Ellipsoid, glatt, fast farblos, bilden sie in
Staubig zerfallenden Asci[13];
Pulvrig füllen sie damit das trockene Köpfchen;
Dazwischen lagern sich einstmaliger Hyphen Fäden[14],
Lockern die staubige Masse,
Dem Wind, nachdem die schützende Hülle zerbröselt, die
Sporen in kleinen Portionen zu geben.
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Auch Onygena fand Risikostreuen[15] von Vorteil für sich!
Was nützte, alles auf eine Karte zu setzen,
Alle Sporen auf einmal zu streuen,
Wäre der Eulen Gewürge zu selten, nicht genügend frisch? –
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So wartet Onygena corvina[16] auf ein gekotztes Gewölle,
Nimmt mit Unverdautem vorlieb.
Equina[17] hingegen, lebt viel trockner und härter,
Hufe, Klauen und Hörner nimmt sie für sich!
So mancher mag dabei denken:
Die hat bestimmt einen Hieb!
Doch, wer buhlt schon um diesen Abfall,
Kaum jemand streitet ernstlich darum:
Wer eine Nische[18] alleine besetzt –
Gewinnt!
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Fußnoten
[1] Sporenwand
[2] Keimhyphae: Hyphe, mit der eine Spore oder Konidie keimt
[3] Federstrahlen: Des Federschaftes Verzweigung zweiter Ordnung
[4] Hyphen: Einzellreihige, zellwandumgebene Fäden von Pilzen mit Spitzenwachstum, mit oder ohne Querwände
[5] Keratin: Sammelbegriff für verschiedene wasserunlösliche Faserproteine, die von Tieren gebildet werden und Hornsubstanz charakterisieren; entsprechend ihrer molekularen Konformation, als α-Helix oder β-Faltblatt unterscheidet man α- und β-Keratin; zu Büdeln treten in hierarchischer Ordnung mehrere Fibrillen zu Fasern zusammen und sind umso steifer, je stärker ihre Komponenten durch Disulfidbrücken der Aminosäure Cystein quervernetzt sind
[6] Gewölle: Besonders von Eulen und Greifvögeln herausgewürgter Klumpen unverdaulicher Nahrungsreste, wie Haare, Federn, Knochen
[7] Fruchtkörper: Komplexe Hyphengeflechte, die Überdauerungsorgane oder Sporangien enthalten oder diese oberflächlich tragen
[8] Ascogon: Ein meist bauchiges, vielkerniges weibliches Gametangium, das mit einem Fortsatz dem männlichen Gametangium es erleichtert, es zu umschlingen, um an einer Stelle die trennenden Zellwände für Plasmogamie aufzulösen.
[9] Ascus, Schlauch: Meiosporangium der Ascomycota
[10] Ascoloculär: Entwicklung eines Pseudotheciums, wobei die einzelnen, hymenienbildenden Höhlungen als Loculi bezeichnet werden. Der Gegensatz dazu ascohymenial, bei dem von Anfang an nur ein Hymenium angelegt wird.
[11] Bitunicat: Die Auswand besteht aus zwei sich funktionell unterscheidenden Schichten, aus Exo- und Endoascus
[12] Pezizomycotina: Becherlingsartige i. w. S. (Ascomycota – Dikaryota – Unbegeißelte Chitinpilze – Fungi – Oisthokonta –…)
[13] Prototunicat: Ascuswand ohne vorgebildete Öffnungsstelle; die Wand löst sich auf oder zerfällt
[14] Capillitium (Fungi): Zu dickwandigen Fasern umgewandelte Hyphen, die der Auflockerung der Sporenmasse dienen und zugleich sie dem Verbreitungsvektor Wind anbieten
[15] Risikominimieren, Risikostreuen: Ein entscheidendes Prinzip der Evolution. Um Verluste an möglichen Nachkommen möglichst zu reduzieren, haben sich erfolgversprechende Strategien entwickelt; z. B. Risikostreuen, was bedeutet, nicht alles auf eine Karte zu setzen, nicht alle Sporen, Samen oder Früchte, auf einmal reifen zu lassen und in einem Schub zu verbreiten. Zeitliche Streuung z. B. erhöht die Wahrscheinlichkeit, günstige Zeiten für die Verbreitung durch Vektoren zu treffen, oder Perioden für günstiges Wachstum oder fürs Überleben, etc. Freilich wird dabei während eines Zeitpunktes die Menge der Verbreitungseinheiten geringer, doch am Ende wird sich diese Strategie evolutiv für den Organismus lohnen. Wenn aber Organismen fürs Wachstum auf zeitlich beschränktes Vorkommen günstiger Bedingungen angewiesen sind, wird eine explosionsartige Vermehrung die günstigste Lösung sein; in diesem Zusammenhang sind dann schnell reagierende Nebenfruchtformen mit ihren asexuell entstandenen Verbreitungseinheiten von Vorteil, z. B. dann, wenn ein Substrat (Stärke, Zucker, Partner eines Symbionten, Wirt eines Parasiten) stark umworben ist oder nur kurzzeitig zur Verfügung steht.
[16] Onygena corvina: Gewöll-Hornpilz (Onygenaceae – Onygenales – Eurotiomycetidae – Eurotiomycetes – Bitunicate Ascomycota -…)
[17] Onygena equina: Hörner- und Hufpilz (Onygenaceae – Onygenales – Eurotiomycetidae – Eurotiomycetes – Bitunicate Ascomycota -…)
[18] Ökologische Nischen: Meist kleine Gebiete, Habitate, mit relativ einheitlichen Lebensbedingungen
Eingestellt am 15. März 2025
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Onygena corvina Asci und Sporen (Original; Reinhard Agerer)
Rundliche Asci in unterschiedlichen Entwicklungsstadien; reife Asci mit acht dickwandigen Sporen.
Eingestellt am 15. März 2025
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Onygena-Arten
Oben: Onygena corvina auf Gewölle
Autor: Volker Fäßler
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license; unverändert
Unten: Onygena equina auf Horn eines Schafs
Autor: Ben Mitchell Wildeep
Lizenz: Public domain; unverändert
Eingestellt am 15. März 2025
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