zum Glossar über:
Siphonophoreae, Staatsquallen
1 Appetizer
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Vielfältig fordern Umwelt, auch Mitbewohner des Meeres
Siphonophore Polypenverbände[1] heraus.
Doch passende Antwort gibt die Evolution
Mit Differenzierung, Arbeitsteilung und Reorganisation.
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Unübersehbar facettenreiche Funktionen vereinen in sich Polypen[2]:
Beute erlangen, zum Lähmen fixieren,
Nesselsubstanzen[3] rasch injizieren,
Gezielt den Fang zum Mund[4] transportieren,
Im Bauchraum[5] verteilen, zerlegen, resorbieren.
Feinde abhalten, vielleicht gar verjagen,
Zum Schutz vor schädlicher Strahlung beitragen,
Am Meeresspiegel fest sich verankern,
Bei Wind nicht zu sehr im Wellengang schwanken,
Sich zu klonen[6], entscheidend zu mehren,
Medusen[7] Freiheit nicht mehr gewähren,
Wird wirklich zukunftbringende Vorsorge getroffen? –
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Eine luftgefüllte Blase ziert manch einen Fuß,
Wie auch Levellas[10] schon;
Hängt tief ihn, stolonengleich[11] schmal, mundvoraus
In lichtdurchhellte Algenreviere[12] hinein.
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Knapp unterm tentakelumhüllten[13] Mund
Erhöhen kranzartig gereihte Nährpolypen[14]
Fangzahl und -quote des Tieres Jagdkollektivs,
Ernähren überreich so das bojenbestückte Gefährt.
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Männliche, weibliche Gonozoide[15],
Gefräßigen Nährpolypen engstens benachbart,
Als Erste profitierend vom Raubgut der Meute,
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Schlankellipsoide Polypen, nur der Verdauung verschrieben,
Öffnen in vielen Arten apikal eine Pore,
Unverdauliche Reste nach außen zu schicken.
Überragen mit langen Tentakeln, meist weithin nach außen gestreckt,
Unter ihnen stehende Medusoide[18].
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Verankerte Schwimm-Medusoide unter dem Pneumatophor[19]
Treiben, synchron sich verengend,
Den Polypenstock kräftig voran.
Noch eines ergänzt er im Laufe der Jahrmillionen:
Die vierstöckige Einheit wiederholt repetierend,
Taucht er tiefer hinab in die See.
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Fußnoten
[1] Polypenstock: Aussehen einer Kolonie, doch sind die einzelnen Individuen über ein gemeinsames Gewebe verbunden, unterscheiden sich darin von Kolonien, die durch dichte Siedlung einzelner Individuen gekennzeichnet sind
[2] Polypen: Lebensstadien von Nesseltieren. Polypen haben eine Körperform, die aus einem hohlen Zylinder besteht (Hohltier) und in einer zentralen, von Tentakeln umgebenen Mundöffnung endet.
[3] Nesselgifte: Meist Proteine, insbesondere Enzyme wie Phospholipasen, Cytolysine und ionenkanalhemmende Neurotoxine; diese Neurotoxine wirken in der Hauptsache auf das Nervensystem, wo sie die Bildung von Aktionspotentialen unterbinden und so Krampf und Lähmungserscheinungen bewirken.
[4] Mund-After-Öffnung: Körperöffnung, die zugleich als Mund und After verwendet wird
[5] Gastralraum: Großraum nahe des Osculums, des Mund-Afters, in den alle zuführenden engeren, dann weiteren, wasserführenden Kanäle oder Taschen münden
[6] Clonale Vermehrung: Asexuelle Vermehrung (rein mitotisch bedingte Vermehrung, daher Individuen genetisch identisch)
[7] Medusen, Quallen: Ein freischwimmendes, schirmförmiges Lebensstadium der Nesseltiere
[8] Fitness (biologische): Je mehr nachkommenerzeugende Nachkommen entstehen, umso fitter ist ein Organismus
[9] Planula: Birnförmige bis länglich ovale bis keulenförmige, außen bewimperte Larve der Cnidaria
[10] Name für Velella velella, der Segelqualle, hypothetische Ahnen
[11] Stolonen: Basale hohle Ausläufer, die benachbarte Polypen miteinander verbinden
[12] Algen: Eine organismenreichübergreifende Bezeichnung für überwiegend im Wasser lebende Thallophyten
[13] Tentakel: Nesselzellenbestückte, bewegliche Fangarme der Cnidaria
[14] Nährpolypen, Fresspolypen: Typische, mit Fangtentakel versehene, sich mit Beute versorgende Polypen
[15] Gonozoide: Träger von Gonophoren
[16] Spermatozoide, Spermatozoen, Spermien: Reife, männliche, haploide Keimzellen; Gameten, die im Normalfall zu eigenständiger Bewegung fähig sind
[17] Eizellen: Unbewegliche, nährstoffreiche, weibliche, haploide Keimzellen
[18] Medusoide: An Polypen festsitzende, reduktiv abgewandelte Medusen
[19] Pneumatophor: Luft-, Gasträger; Luftkissen
Eingestellt am 23. November 2024
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Siphonophoreae, Staatsquallen
2 Differenzierung und Arbeitsteilung auf die Spitze getrieben
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Mobile Polypenstöcke[1] charakterisieren die Ordnung,
Freie Medusen[2] kommen nicht vor;
Zeigen Arbeitsteilung wie keine andere Sippe[5] zuvor.
Sie bringt, wohl für niemand erstaunlich,
Aufgabenbezog‘ne Differenzierung mit sich.
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So stark schlägt sich dies im Polypenstock[6] nieder,
Dass mitunter sogar von neuen Organismen gesprochen wird:
Denn manchen gilt, weil aus einzigem Grundelement entstanden,
Als neues, eigenständiges Lebewesen dieser hochdifferenzierte Komplex.
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Als schlauchförmiger Stamm erweist sich die grundlegende Einheit,
Von langgezog‘nem, nach unten hängendem Polypen geformt;
Sein Fuß, nach oben gerichtet, findet Halt an des Wassers Fläche,
In Form und Funktion einer Boje, die auf unterschiedliche Weise gasgefüllt.
Als Pneumatophor[7] wird diese Struktur gerne bezeichnet,
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Am Stamm jeweils hängend, lassen unterschiedlich differenzierte Polypen sich als sogenannte Organe trennen:
Kaum differenzierte medusenartige Schwimmglocken, Nectophoren[10] genannt;
Phyllozoide[11] als blattartig geformte Polypen mit
Aufgabe zu schützen, was unterhalb ihnen hängt;
Dactylozoide[12], zu Verdauungszwecken umgeformte Wehrpolypen,
Mit wenigen, langen Tentakeln[13], gelegentlich mit einem Exkretionsporus verseh‘n;
Fresspolypen[14] dürfen nicht fehlen, ebenfalls ausgestattet mit langen Tentakeln,
Gelegentlich, um ihre Oberfläche wirkungsvoll zu vergrößern, mit Tentillen[15] bestückt;
Diese Serie kann sich mehrfach wiederholen entlang des zentralen Stamms.
Serienteile lösen bei manchen Arten sich als asexuelle Propagulen[19],
Flottieren davon als Gründer eines neuen, bald wieder etagierten Polypenstocks.
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Fassen beide Geschlechter in einem Tierstock[20] zusammen,
Männliche Gonozoide stehen unter weiblichen, warum?
Denn Spermatozoide[21] sollen nicht bevorzugt eigene weibliche Gonophoren treffen,
Denn Fremdbefruchtung erhält und erhöht genetische Diversität.
Ovipar[22] vermehren sich Staatsquallen,
Wobei die Befruchtung in freiem Wasser erfolgt.
Über Sterroblastulae[23] verläuft der Planula Bildung,
An der vielfach weitere Larvenformen durch Knospung entsteh‘n.
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Fußnoten
[1] Polypenstock: Aussehen einer Kolonie, doch sind die einzelnen Individuen über ein gemeinsames Gewebe verbunden, unterscheiden sich darin von Kolonien, die durch dichte Siedlung einzelner Individuen gekennzeichnet sind
[2] Medusen, Quallen: Ein freischwimmendes, schirmförmiges Lebensstadium der Nesseltiere
[3] Polymorphie: Vielgestaltigkeit
[4] Polypen: Lebensstadien von Nesseltieren. Polypen haben eine Körperform, die aus einem hohlen Zylinder besteht (Hohltier) und in einer zentralen, von Tentakeln umgebenen Mundöffnung endet.
[5] Sippe: Unter Sippe wird eine oft nicht genauer genannte Verwandtschaft verstanden, im Gegensatz zu Gruppe, die lediglich eine Gruppe nicht näher verwandter Organismen bezeichnen will
[6] Polypenstock
[7] Pneumatophor: Luft-, Gasträger; Luftkissen
[8] Aboral: gegenüber dem Mund
[9] Planula: Birnförmige bis länglich ovale bis keulenförmige, außen bewimperte Larve der Cnidaria
[10] Schwimmglocken, Nectophoren: Glockenartig umgewandelte, mit der Exumbrella am Zentralpolypen ansitzende, im Subumbrellarraum undifferenzierte, kontraktionsfähige Medusoide, die einen Polypenstock vorantreiben können
[11] Phyllozoide: Blattförmig umgebildete, nesselzellenversehene Polypen mit erkennbarem Hohlraum, am Zentralpolypen eines Polypenstocks sitzend, als Schutzorgan für darunterstehende Polypen und Gonozoide
[12] Dactylozoide, Wehrpolypen: Polypen mit meist einziger Aufgabe Prädatoren zu schädigen oder zumindest abzuschrecken
[13] Tentakel: Nesselzellenbestückte, bewegliche Fangarme der Cnidaria
[14] Fresspolypen, Nährpolypen: Typische, mit Fangtentakel versehene, sich mit Beute versorgende Polypen
[15] Tentillen: Seitenzweige von Tentakeln
[16] Gonozoide: Träger von Gonophoren
[17] Gonophor: Träger von Geschlechtszellen
[18] Sexuelle Fortpflanzung: Dafür sind drei Vorgänge miteinander gekoppelt, Meiose (abgekürzt mit R!), Plasmogamie (Zellen vereinen sich, abgekürzt mit P!) und Karyogamie (Kerne verschmelzen, abgekürzt mit K!) verbunden, wobei P! und K!, mit Ausnahme bei Dikaryota, unmittelbar aufeinander folgen. Bei Dikaryota (Unbegeißelte Chitinpilze – Fungi – Opisthokonta – Eukarya) sind beide Vorgänge unterschiedlich lang (weit) voneinander getrennt. Da bei Animalia und Plantae P! und K! unmittelbar aufeinander folgen, werden beide Vorgänge häufig zu Befruchtung (B!) zusammengefasst.
[19] Propagulen: Allgemeine Bezeichnung für Verbreitungseinheiten
[20] Polypenstock
[21] Spermatozoide, Spermatozoen, Spermien: Reife, männliche, haploide Keimzellen; Gameten, die im Normalfall zu eigenständiger Bewegung fähig sind
[22] Ovipar: Eizellen oder Zygoten verlassen das Mutterzoon
[23] Sterroblastula: Ein frühes ontogenetisches Stadium der Animalia, das einer dicht gepackten, vielzelligen Morula, also einem großen kugligen Zellhaufen entspricht
Eingestellt am 23. November 2024
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Staatsqallen, Organisation des Polypenstocks (Tusche und Kreide; Reinhard Agerer)
An nach unten hängendem Primärpolypen (grün), unten mit Gastrozoid und Tentakel, am Meeresspiegel mit gasgefülltem (grau) Pneumatophor fixiert, folgen nach den Schwimmmedusen, Nectophoren (dunkelblau) nach unten zu in wiederholter Reihenfolge abgewandelte Polypen/Medusoide, wobei die obere Serie klein und noch in Bildung begriffen ist:
Deckpolyp, Phyllozoid (braun) – Wehrpolyp, Dactylozoid mit Tentakel (rot) – weibliches Gonozoid (dunkelgelb) – männliches Gonozoid (hellgelb) – Nährpolyp, Gastrozoid (hellbraun).
Eine einzelne Serie wird oft mit dem Fachbegriff Cormidium belegt[i]der Primärpolyp der Staatsquallen als Siphonophor.
Nach Westheide & Rieger (2013), Seite 152, Abb. 237
Eingestellt am 23. November 2024
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