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Vendobionta, Vendobionten
1 Sandige Angelegenheit (HP)
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Auf rasch wachsenden Matten langgestreckt liegend,
Lebt Vendo[1], wie manche Zeitgenossen, ungeniert im Schlaraffenland.
Nachwachsende Rohstoffe nimmt sie,
Ohne sich viel zu bewegen, in sich hinein.
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Schnell sich vergrößernd, teilend, vermehren Vendos
Zur unüberschaubaren Population,
Besiedeln, mit Licht und lebenswichtigen Ionen versorgte,
Ausgedehnte Biofilme[2] von Region zu Region.
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Wie schön wäre das Leben!
Doch Katastrophen verändern es jäh:
Schauer kleinster Partikel rieseln beständig herab,
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Die nahe Mündung des Bachlaufs
Brachte die Fracht weit mit sich her.
Ein Gewittersturm befüllte das Rinnsal,
Schwemmte lang schon liegende Schichten ins Meer.
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Nur wenige hatten das Glück, kaum bepudert zu sein.
Doch ihre dünn sie begrenzende Haut
War zu schwach die Körnchen zu halten:
Sanken, membranumhüllt, langsam ins Cytoplasma[5] hinab.
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Die Zelle kann’s nicht ertragen!
Transportiert sie zur Peripherie,
Lagert sie ab, formt eine sandige Schicht,
Gewinnt, Nachteil zum Vorteil gewendet, Stabilität.
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Nur nicht aufgeben heißt die Devise!
Leben quillt wieder aus der Bedeckung hervor.
Vendos finden bald Mengen an Nahrung,
Ergänzen mit abgestorbenen Resten die Kost.
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Stabiler nun, leben sie wechselnden Zeiten entgegen,
Nehmen an Masse und Größe noch zu.
Doch im Innern sind ihnen Grenzen gesetzt:
Denn über zu weite Strecken versiegen Informationen im Nu.
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Fußnoten
[1] Vendo: Name für hypothetischen Vorfahren der Vendobionten
[2] Biofilme: Dünne, meist geschlossene Schichten aus verschiedenen Mikroorganismen
[3] Schluff: Gesteinspartikel zwischen 0,06 und 0,0002 mm Größe
[4] Sandiger Ton: Ton (Korngröße kleiner als 0,0002 mm) mit Sandanteilen von weniger als 18 Gewichtsprozent Sand (Korngröße zwischen 2 und 0,06 mm)
[5] Cytoplasma: Flüssiger Zellinhalt mit darin liegendem Cytoskelett
Eingestellt am 14. Juni 2025
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Vendobionta, Vendobionten
2 Nukeäre Aufrüstung (HP,†)
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Kerne vermehren hilft ab dem Dilemma.
Entschieden sichern sie allseits ihr Einflussareal,
Grenzen Minigebiete funktionell voneinander,
Wachen akribisch übers eigene Reich.
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Koordinieren Biosynthesen, Transport und Vesikelverkehr[1],
Treiben Sandvakuolen[2] möglichst weit von sich weg und –
Stoßen an Grenzen, die, auch von Nachbarn beansprucht,
Befestigt werden durch lockersandigen Bau.
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Gleichberechtigt wirkt jeder der Herrscher,
Dehnt sein Gebiet bis ans Limit der Macht.
Als Ganzes betrachtet, erscheint die Zelle gekammert,
Aus regelmäßigen Kompartimenten zusammengesetzt.
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Nicht fest sind die Grenzen,
Sind zum Verschieben gedacht.
Wächst die Zelle, teilt ihre Kerne,
Wird der Grundstein für neue Kammern bedacht.
Seriell geordnet liegen die Räume,
Oft auch fraktal[3], spiegeln sie Unordnung doch damit vor.
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Aufgaben zuweisen, geschickt verteilen,
Bringt für innovative Ideen den nötigen Raum;
Arbeitsteilung und Differenzierung[4]
Helfen, um zu Überleben den Kampf zu besteh‘n.
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Fußnoten
[1] Vesikel: Kleine, abgegliederte, rundliche, doppelmembranumhüllte Behälter.
[2] Mit Sand gefüllte Vesikel
[3] Fraktal: Eine Art mathematischer Form mit unendlicher Komplexität die durch Wiederholung einfacher Prozesse auf verschiedenen Maßstabsebenen komplexe Muster erzeugen. Im Wesentlichen ist ein Fraktal ein sich endlos wiederholendes Muster, und jeder Teil des Fraktals sieht dem Gesamtbild sehr ähnlich, unabhängig davon, wie weit hinein- oder herausgezoomt wird.
[4] Arbeitsteilung und Differenzierung: sind treibende Kräfte der Evolution. Aufgabenverteilung auf verschiedene Zellen, Zellbereiche, Zellorganellen, Teilbereiche des Organismus, auf Gewebe, führt letztendlich zu hochdifferenzierten, spezialisierten Organen, die sich einzig und allein ihrer Aufgabe – und somit für den Organismus effektiver – widmen können. Damit werden weitere Entwicklungsmöglichkeiten angestoßen, die evolutiv zu ungeahnter Vielfalt führen. Diese treibenden Kräfte lassen sich schon zu Anfang der Organismenevolution aufzeigen und ziehen sich durch bis zur Entwicklung der Menschheit; ja selbst der moderne Mensch kennt diese Prinzipien als Erfolgsrezepte und wendet sie für sein eigenes Leben laufend an.
Eingestellt am 14. Juni 2025
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Vendobionta, Vendobionten
3 Flach (†)
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Wie Federn und langgliedrige Blätter
Belegen Vendobionten flächig
Biomatten[1 ]mit maximalem Kontakt,
Die unfreiwillig sich geben als nährende Schicht.
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Unbeweglich vielleicht, wer kann es ergründen,
Liegen sie dicht auf lebendem Grund,
Umgeben, womöglich zum Teil überwuchert,
Von photosynthetisch aktiven, oder heterotrophen Mikroben.
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Fanden sie Zugang zu lichtverwertenden Algen[2]
Als Lieferanten von Zucker in enger Symbiose[3]?
Kein Mensch kennt die Antwort,
Ihre Zeit ist lang schon dahin[4].
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Dickinsónia[5] liebt diese Matten.
Erniétta[6] aber bleibt, wie es scheint, im Grund,
Liegend, vielleicht stehend auf Sand,
Lebte von Organischem womöglich, was lebend einmal war.
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Fußnoten
[1] Biofilme: Dünne, meist geschlossene Schichten aus verschiedenen Mikroorganismen
[2] Algen: Eine organismenreichübergreifende Bezeichnung für überwiegend im Wasser lebende Thallophyten
[3] Symbiose, symbio(n)tisch: wechselseitiges Nehmen zu beiderseitigem Vorteil; auch als wechselseitiger Parasitismus verstehbar
[4] Ediacarium-Zeit: vor ca. 635 – 542 Millionen Jahren
[5] Dickinsonia †: Vendobionta (Amoebozoa – Eukarya)
[6] Ernietta †: Vendobionta (Amoebozoa – Eukarya)
Eingestellt am 14. Juni 2025
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Zwei der vielen Vendobionten aus der Ediacarium-Zeit
Links: Dickinsonia costata
Autor: Verisimilus at English Wikipedia
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license; unverändert
Rechts: Ernietta plateauensis
Autor: Gregory Retallack
Lizenz: Gemeinfrei; unverändert
Eingestellt am 14. Juni 2025
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Vendobionta, Vendobionten
4 Abgehohen (†)
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Warum immer flach am Bauche nur liegen,
In Ungewissheit Sandfracht im Wasser befürchten,
Wenn doch knapp überm Boden
Energiereiche Schwaden ununterbrochen zieh‘n?
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Den Rücken aufbäumend,
Heben sich über Generationen hinweg
Federn und Blättchen
Oftmals mit Stielen steil in die Höh.
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Den Halt zu verbessern,
Kleben mit rundlicher Scheibe
Glaessnéria und Chárnia[1] sich an
Recken als partiell unterteilte,
Mehrzentimeterhohe, riesige Zellen
Sich der Strömung trotzend entgegen.
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Nur leichter Schluff[2],
Noch leichterer Ton[3],
Bekleben, auch für internen Gebrauch bestimmt,
Der Vendobionten erhabene Form.
So bringen sie lebensbedrohende Feinstpartikel
Nicht in Gefahr. –
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Doch wer verantwortet dann der Vendobionten Verschwinden?
Dickinsónia, Erniétta, Glaessnéria und Chárnia[4]
Leben nicht mehr seit Urzeiten schon.
Nur Sandgerippe sind bleibende Zeugen davon.
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Waren es großflächig weidende Tiere,
Die bis zur letzten Riesenzelle Vendobionten verspeisten?
Wurden Sandschichten letztlich dann doch zu mächtig und
Damit alle erstickten?
Oder wurden doch am Ende die Riesenzellen zu groß,
Zu wenig flexibel für manche interne Funktion?
Vielleicht brachte Sesshaftigkeit sie in diese Bredouille[5],
Blieben sitzen, wo Wandern doch wäre das Mittel der Wahl?
Sie verließen die Welt
Vor fünfhundertfünfzig Millionen Jahren final.
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Fußnoten
[1] Glaessneria †: Vendobionta (Amoebozoa – Eukarya)
[2] Schluff: Gesteinspartikel zwischen 0,06 und 0,0002 mm Größe
[3] Ton: Gesteinspartikel keiner als 0,002 mm Größe
[4] Chárnia †: Vendobionta (Amaoebozoa – Eukarya)
[5] Bredouille: Schwierigkeiten, Bedrängnis, Klemme
Eingestellt am 14. Juni 2025
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Charnia (Vendobiont)
Die Vertreter der Gattung Charnia ähneln in ihrem Aussehen einem länglichen Farnblatt. Zusätzlich verfügen sie über einen diskusförmigen Fuß, der vermutlich als Halterung am Meeresgrund diente. Sie erreichten eine Länge von bis zu zwei Metern undwerden damit als aufrechtstehend interpretiert wird.
Autor: Verisimilus at English Wikipedia
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license; unverändert
Eingestellt am 14. Juni 2025
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